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#IchAuch – Gewalt an Schulen: Ein Tabuthema, das keins sein darf

Ich bin ein Opfer. Sind Sie es auch? Erleben Sie psychische oder physische Gewalt? Um es vorwegzunehmen: Ich erlebe keine Gewalt in meiner Ehe. Beruflich sieht das jedoch anders aus. Seit fast zehn Jahren bin ich im Schuldienst – und ich kann nicht einmal zählen, wie oft ich bereits beleidigt, bedroht oder sogar geschlagen wurde.

Ich kann das Raunen bis hierher hören: „Aber das gehört nun mal zum Job dazu.“ – „Das ist halt so an Schulen.“ – „Das sind doch bloß Kinder.“


Gewalt gegen Lehrkräfte - die neue Normalität?
Gewalt gegen Lehrkräfte - die neue Normalität?

An dieser Stelle möchte ich ein Zitat anbringen. In Artikel 2 (2) des Grundgesetzes steht:

„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“

Soll ich lachen oder weinen? Meine körperliche Unversehrtheit ist im Beruf nicht gegeben. Wenn Ihr Partner oder Ihre Partnerin Sie schlagen würde, käme die Polizei und es gäbe strafrechtliche Konsequenzen. Würden Sie ein Kind körperlich misshandeln, bräuchte man über die (zu Recht) harten Konsequenzen gar nicht zu diskutieren. Selbst wenn Sie einen Polizisten angreifen würden, fiele das unter Gewalt gegen die Staatsgewalt.

Doch wenn ich als Lehrkraft von Kindern bedroht oder geschlagen werde? Dann bleibt es oft bei einer Ermahnung oder – wenn es gut läuft – einem Tadel, der unbeachtet in einer Schülerakte verstaubt.


Alltag im Klassenzimmer: Gewalt als Normalzustand?

Denken Sie, ich übertreibe? In fast zehn Jahren wurde ich so oft beschimpft, dass ich aufgehört habe, mitzuzählen. Die Palette reicht von A**, F***, S**e* bis hin zu Fisch (was mich seit Jahren fasziniert – wann wurde Fisch eigentlich zum Schimpfwort?). Gepaart wird das Ganze mit wenig kreativen Adjektiven wie dumm, blöd, assi oder *schß.

Bin ich abgestumpft? Ja. Ist das richtig? Nein. Beleidigungen sind eine Form von Gewalt. Sie verletzen, erniedrigen und machen etwas mit uns. Und was tun wir? Falls wir noch die Kraft aufbringen, schreiben wir einen Eintrag ins Hausaufgabenheft: „Ihr Kind hat mich heute als dumme F** bezeichnet.“* Manchmal fühle ich mich wie ein Kind, das petzt, und frage mich, ob ich überreagiere.

Viele von uns verzichten mittlerweile ganz auf solche Einträge – weil sie ohnehin unbeachtet bleiben.


Von Beleidigungen zu Drohungen

Die nächste Stufe sind Drohungen. Und ja, sie haben eine Wirkung auf mich. Ich gehe nicht mit Angst in den Unterricht – aber auch nicht mehr mit Freude. Ich bin gestresst, permanent auf der Hut und kann keinen entspannten Unterricht mehr gestalten.

Hier ein paar Drohungen, die mir gegenüber in letzter Zeit geäußert wurden:

  • „Geh weg, sonst verprügel ich dich!“ (2. Klasse)

  • „Ich komme zu dir nach Hause und zünde deine Eltern an!“ (2. Klasse)

  • „Morgen bringe ich ein Messer mit und steche dich ab!“ (2. Klasse) – Konsequenz? Eine Ranzenkontrolle.

  • „Ich bringe dich und deine ganze Familie um!“ (3. Klasse) – Konsequenz? Der Schulbegleiter informiert die Eltern.

Ein Schüler brachte einmal einen spitzen Gegenstand mit zur Schule, um mich und seine Mitschüler „kaltzumachen“. Konsequenz? Der Gegenstand wurde ihm abgenommen. Das war’s.Ein Zweitklässler schlug mir vor ein paar Jahren die Lippe blutig. Die Mutter seufzte nur.Regelmäßig werden Stühle nach mir geworfen. Konsequenzen? Keine.


Lehrkräfte als Freiwild?

Ich bin nicht die Einzige, die das erlebt. Eine Kollegin musste sich mit ihrer Klasse vor einem gewaltbereiten Schüler einschließen, weil dieser alle schlagen und mit spitzen Gegenständen attackieren wollte. Konsequenz? Keine. Der alleinerziehende Vater lehnte es ab, seinen Sohn abzuholen. Diagnostik? Nicht möglich, weil er nicht mitarbeitete.

Eine andere Kollegin wurde von einem Viertklässler so heftig in den Unterleib geboxt, dass sie mit Blutungen zum Gynäkologen musste. Lesen Sie das ruhig noch einmal. Konsequenz? Ein Tadel. Die Mutter lehnte jedes Gespräch ab. Die Schulleitung unterstützte zumindest die Gewaltmeldung – das war’s. Die polizeiliche Anzeige wird eingestellt werden. Der Schüler droht inzwischen anderen Kolleginnen mit denselben Worten: „Sonst mache ich mit dir das Gleiche, was ich mit Frau X gemacht habe.“


#IchAuch – Ein Aufruf zum Handeln

An Grundschulen werden Lehrkräfte täglich beleidigt, bedroht und teilweise krankenhausreif geschlagen. Und doch spricht kaum jemand darüber. Es ist an der Zeit, dass wir das ändern.

Warum gibt es keine Solidaritätsbewegung für uns? Bei der #MeToo-Kampagne haben sich unzählige Frauen zusammengeschlossen, um sexuelle Gewalt anzuprangern. Warum tun wir Lehrkräfte das nicht?

Ich bin die Erste, die sich einen #IchAuch-Button anstecken würde. Denn ich werde beleidigt, bedroht und geschlagen. Die Kinder, die das tun, sind – unabhängig von den Gründen für ihr Verhalten – Täter. Natürlich brauchen viele von ihnen Hilfe. Doch ein Viertklässler, der eine Lehrerin absichtlich krankenhausreif schlägt, ist in diesem Moment ein Täter.

Warum steht nach so einem Vorfall nicht sofort das Jugendamt vor der Tür? Warum bekommt meine Kollegin keine psychologische Unterstützung? Warum wird von uns erwartet, all das unter dem Deckmantel der Professionalität einfach hinzunehmen?



Was muss sich ändern?

Wir brauchen einen offenen Diskurs. Gewalt gegen Lehrkräfte muss endlich als solche anerkannt werden. Ich fordere:

  • Eine verpflichtende Einladung der Eltern durch das Schulamt oder Kriseninterventionsteam bei Gewaltvorfällen.

  • Sofortige pädagogische Unterstützung für das Kind, inklusive verpflichtender Anti-Aggressionskurse – auch für die Eltern.

  • Die Möglichkeit eines Schulverweises als letztes Mittel.

  • Psychologische Unterstützung für betroffene Lehrkräfte.

Ich will nicht abstumpfen. Ich will nicht akzeptieren, dass psychische und physische Gewalt gegen Lehrkräfte „normal“ ist.

Niemand hat das Recht, uns psychisch oder physisch zu verletzen.

Ich trage meinen imaginären #IchAuch-Button mit Stolz. Wenn Sie von dieser Gewalt nicht betroffen sind – wunderbar. Aber solidarisieren Sie sich mit Ihren Kolleginnen und Kollegen, die ihn tragen müssen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen harmonischen und friedlichen Tag!


 
 
 

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